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- W2912738071 abstract "Der Prozess der Internationalisierung und Europäisierung des Rechts bildet heute einen Schwerpunkt juristischer Ausbildung und ist zu einem gewichtigen Topos juristischer Forschung geworden. Auch für Politologinnen und Politologen, die sich mit institutionellen Fragen vergleichender Politik oder der EU befassen, stehen Prozesse der Internationalisierung des Rechts häufig im Vordergrund. Dabei ist die Zusammenarbeit zwischen Politologinnen und Juristen gerade an der Nahtstelle des internationalen Rechts selbstverständlich geworden, wie sich etwa in vielen Arbeiten am World Trade Institute der Universität Bern zeigt. Das war nicht immer so, und die hohe Bedeutung des internationalen Rechts ist jüngeren Datums. War das internationale Vertragsrecht nach dem Zweiten Weltkrieg quantitativ und in seinen Auswirkungen gegenüber dem einheimischen Recht relativ unbedeutend und wenig beachtet, so macht es heute mehr als die Hälfte der eidgenössischen Gesetzessammlung aus. Hinter dieser Entwicklung steht allerdings weit mehr als die Ersetzung von Texten des Landesrechts durch Quellen des internationalen Vertragsrechts, nämlich ein eigentlicher juristischer Kulturwandel mit anderen Denkweisen und Argumentationsformen. Zu dessen Stichworten gehören, so Drolshammer, neue Anforderungen an die Rechtsgestaltung, so etwa jene der „comparability, compatibility, competitivity” und „transcultural interoperability” (p.44, 249ff). Wie dieser Kulturwandel des Rechts erlebt wurde, dokumentiert der Autor anhand von Gesprächen mit Juristinnen und Juristen, welche in der Zeit von 1950 bis Anfang unseres Jahrhunderts den Prozess der Internationalisierung des schweizerischen Rechts erlebt und daran an massgeblicher Stelle teilgenommen haben. Damit ist das Buch in doppelter Hinsicht aussergewöhnlich. Zunächst zum Autor: Drolshammer war als Mitbegründer einer der bedeutendsten Zürcher Anwaltskanzleien am Transformationsprozess und an wichtigen Fällen der praktischen Auseinandersetzung des schweizerischen mit dem angelsächsischen Recht beteiligt. Als emeritierter Titularprofessor an der Universität St. Gallen sowie als Visiting Research Professor und Faculty Associate an der Harvard Law School hat Drolshammer seine reichen Erfahrungen auch in den akademischen Bereich hineingetragen. In jüngster Zeit beschäftigt ihn, zusammen mit Thomas Cottier, vor allem eine gross angelegte Anthologie zur Europäisierung, Globalisierung und Amerikanisierung des Rechts, von der bis jetzt 7'000 Seiten online verfügbar sind. In Buchform erschienen ist u.a. „The Americanization of Swiss Legal Culture” (Stämpfli, Bern 2016), die auf 1'630 Seiten wichtige Texte und Beiträge aus juristisch bedeutsamen Begegnungen und Auseinandersetzungen zwischen den USA und der Schweiz von 1848 bis heute versammelt. Das hier vorgestellte Buch nun widmet sich den Veränderungen schweizerischer Rechtskultur, und dies auf höchst originelle Weise. Es versammelt wie erwähnt Gespräche des Autors mit 43 Juristinnen und Juristen, welche am Prozess der Internationalisierung des schweizerischen Rechts der letzten sechs Jahrzehnte auf verschiedenste Weise beteiligt waren. Die vorstrukturierten Gespräche folgen einem gemeinsamen Gesprächsleitfaden. Die eigentlichen Interviews wurden auf ihre wesentlichen Aussagen verdichtet und den Gesprächspartnerinnen und -partnern zur Autorisierung vorgelegt. In der Publikation zu Wort kommen Richterinnen und Richter (z.B. Carla Del Ponte, Luzius Wildhaber), Diplomaten und Justizbeamte (z.B. Franz Blankart, Heinrich Koller), Parlamentarier (Rene Rhinow, Gilles Petitpierre), Bundesräte (Arnold Koller, Moritz Leuenberger, Christoph Blocher), dann Präsidenten internationaler Organisationen und Leiter multinationaler Unternehmungen (z.B. Jakob Kellenberger, Beat Hess) sowie Rechtsanwälte (Peter Forstmoser, Frank Vischer) und eine ganze Reihe von Rechtsprofessoren (z.B. Gorgio Malinverni, Daniel Thürer, Dietrich Schindler). Aufgrund der Gespräche werden in phänomenologischer Weise acht Tätigkeitsfelder juristischer Berufe illustriert, die allesamt aber in unterschiedlicher Weise mit der Internationalisierung des Rechts konfrontiert waren. Drolshammer dokumentiert den Rechtswandel als persönliches Erleben dieser Zeitzeuginnen und –zeugen. Er schliesst darum auch den Ausbildungsweg der Befragten, ihre Professionalisierung im internationalen Recht sowie ihre Einbettung in die gesellschaftlichen und beruflichen Netzwerke ein. Damit ist ein Buch in der Tradition der „oral history” entstanden, das freilich nicht mit dem Anspruch der Geschichtswissenschaft auftritt, sondern, bescheidener, sich als „Erkundung” wichtiger Topoi des Wandels der Rechtskultur aus der Perspektive konkreter Juristenberufe bezeichnet. Man könnte sie als wissenssoziologische Topoi bezeichnen, und einige davon sind auch von politologischem Interesse. Beginnen wir mit der Herkunft, Ausbildung und Berufsausübung der Befragten, deren Lebensläufe ausführlich dokumentiert sind. Sie standen anlässlich der Interviews im Alter von 72 bis 90 Jahren, und die Zeit ihrer vollen beruflichen Tätigkeit reicht von den 1950er- bis in die 1990er-Jahre. Die Befragten verkörpern, mit der Ausnahme von vier Frauen, die typische ehemalige Männergesellschaft, wie es sie heute nicht mehr gibt: Fast alle stammen aus bildungsbürgerlichem Haus, wählten am Gymnasium eher Griechisch denn Englisch als Fremdsprache, und von einem prominenten Basler liest man gar, dass am Familientisch gelegentlich auch lateinisch disputiert wurde. Beruflicher Aufstieg verband sich zumeist mit einer militärischen Karriere. Die Beschäftigung mit dem damaligen Niemandsland des internationalen Rechts begann für international tätige Wirtschaftsanwälte berufsbedingt, für viele andere aber eher zufällig: Aus persönlicher Neugierde und individuellem Interesse zogen sie ins Ausland, begegneten anderen Rechtstraditionen und -auffassungen, brachten sie zurück und versuchten, ihren Ertrag auf dem Weg persönlicher Netzwerke für die eigene Rechtskultur fruchtbar zu machen. Das bringt uns auf den Prozess der erzwungenen oder gewollten Rezeption des internationalen Rechts, auf dessen Integration in die schweizerische Rechtsordnung oder, weit seltener, auf die Einflüsse des schweizerischen Rechts in der internationalen Rechtsgemeinschaft. Nach dem Zweiten Weltkrieg war die Schweiz wenig vorbereitet auf die Internationalisierung des Rechts. Es waren zunächst vor allem Anwälte internationaler Wirtschaftsunternehmen und Vertreter in internationalen Organisationen, die sich aus naheliegenden Gründen vor allem für das amerikanische Recht und seine sich zunehmend abzeichnenden Einflüsse und Auswirkungen auf verschiedenste schweizerische Rechtsgebiete interessierten. Die Universitäten folgten diesem Rechtswandel nur zögerlich. Zwar taten sich nicht wenige der befragten Rechtsprofessoren schon früh mit wichtigen und bedeutenden Beiträgen zum Völkerrecht hervor, doch die institutionelle Verankerung des internationalen Rechts als Lehrgebiet blieb lange Zeit bescheiden. Die unterschiedlichen Traditionen des fallbezogenen anglo-amerikanischen und des kontinentalen gesetzessystematischen Rechts mögen auch Hindernisse für eine vorausschauende, nicht bloss reaktive Rezeption bedeutet haben. Deren Fehlen konnte sich nachteilig zeigen, so etwa in den handfesten Konflikten mit der US-Regierung nach dem Zweiten Weltkrieg zur Neutralitätspolitik, oder in den 1990er-Jahren zu den Holocaust-Geldern und anschliessend zu den Geschäftspraktiken der Schweizer Banken. Im abschliessenden Kapitel fasst Drolshammer das Bemerkenswerteste aus den Gesprächen zusammen. Es umfasst Äusserungen der frühen Juristinnen über ihre Behandlung durch ihre männlichen Kollegen, von denen uns einige heute unglaublich erscheinen. Ebenso der Vergangenheit angehören dürfte die gegenseitige Verzahnung juristischer und militärischer Karriere. Ausschlaggebend für die befragte Juristengeneration, der Drolshammer selbst angehört, war das „learning by doing”, oft milizmässig betrieben neben den Aufgaben in Beruf und Ämtern. „Learning organisations” als Veranstaltungen kollektiver Fort- und Weiterbildung und über lose professionelle Netzwerke hinaus kamen erst später auf. Der Erfolg dieser pragmatischen, doch äusserlich schwachen Form der Professionalisierung mag erstaunlich erscheinen, genauso wie die Tatsache, dass Schweizer Juristen in der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit (und in der Strafgerichtsbarkeit mit Carla Del Ponte auch eine Juristin) eine starke Rolle spielten. Die zögerliche Institutionalisierung hatte aber auch ihre Blindstellen; Drolshammer erwähnt nicht nur die späte, sondern vor allem auch die bloss reaktive Bewältigung der Internationalisierung und Europäisierung. Diese blieb nicht selten bei einer positivistischen Analyse des umgestalteten Rechts stehen, also bei der rechtstechnischen Auslegung der Texte ohne Erschliessung ihres Kontexts und weiteren Sinns. Im Übrigen konzentrierte sich die Aufmerksamkeit der befragten Juristengeneration – keineswegs nur aus kommerziellen Gründen – auf das anglo-amerikanische Recht; so beschäftigte sich ein Einziger (der Lausanner Professor Bernard Dutoit) mit dem russischen Recht. Hinter solchen „Erkundungen” steht das übergreifende Anliegen, aus „tacit knowledge” ein „explicit knowledge” für die weitere Forschung zu machen. Auch für Politologinnen und Politologen, die sich für die „Maschinenräume” (Drolshammer, p.251) des juristischen Kulturwandels interessieren, sind solche Erkundungen von Belang. Denn in ihnen werden – wenig hörbar auf dem Oberdeck streitbarer Politik – die Weichen für spätere politische Entscheidungen vorbereitet. Dem politologischen Leser stellen sich einige Fragen. So erstaunt den Aussenstehenden die Homogenität der Meinungen zur Internationalisierung des Rechts; die Befragten – eine Sozietät gemeinsamer professioneller Verbundenheit – äussern sich kaum kritisch, sondern durchwegs positiv zu diesem Vorgang. Die Machtfrage – dass etwa hinter der Vertragsnatur des internationalen Rechts auch der Octroi des Stärkeren über den Schwachen stehen kann – wird kaum gestellt. Ebenso wenig wird in den Gesprächen diskutiert, dass der hegemoniale Akteur der USA nicht nur im Steuer- und Handelsrecht inzwischen imperial auftritt – also einiges von dem, was er von andern verlangt, selbst nicht einzuhalten gedenkt. Gerne hätte man auch erfahren, wie diese Juristengeneration die Auswirkungen der Globalisierungs- und Europäisierungsprozesse auf den Staat und die schweizerische Demokratie beurteilt und diese in den Zusammenhang zur mitverantworteten Rechtsentwicklung stellt. Denn es kann ja nicht sein, dass die Juristinnen und Juristen in den „Maschinenräumen” des gesellschaftlichen Rechtswandels nicht darüber nachdenken, wohin der Dampfer fährt. Damit ist Drolshammers „Erkundungsbuch” nicht zuletzt auch eine Einladung an Politologinnen und Politologen, sich mit dem Verhältnis von Macht und Recht im Prozess der Globalisierung und der „multilevel governance” zu beschäftigen. Die Anhänge des Bandes listen weiterführende Topoi und Fragen auf, die auf der Agenda interdisziplinärer Behandlung von Rechts- und Politikwissenschaft liegen könnten (Annex I). Timelines von 1930 bis 2010 zu historischen, europa- und verfassungsgeschichtlichen Ereignissen (Annex II) bieten originelle Überblicke. Ausgewählte Textquellen aus der eingangs erwähnten Anthologie zur Amerikanisierung und Europäisierung der schweizerischen Rechtskultur (Annex III) geben Hinweise auf wichtige Beiträge, die den Prozess der Globalisierung aus juristischer Sicht geprägt haben." @default.
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